Karen Holländer: Geometrie des Alltags

Und wieder einmal zeigt Karen Holländer, dass Sprache niemals eindeutig, geschweige denn eineindeutig im mathematischen Sinne oder im Geiste Ludwig Wittgensteins sein kann. Zusammengesetzte Worte – Begriffe – zerlegt sie mit präzisem Blick in Wörter und bringt diese mit der ihr eigenen Leichtigkeit auf die Leinwand, mit dem sie so charakterisierenden Quäntchen Humor, der das Abgleiten ins Banale zu verhindern weiss.

 

Die Nebelkrähe ist so ein grossartiges Beispiel dieses neuen Werkzyklus. Das Bildsujet verrät nicht sofort den Titel, auf dessen Suche sich Betrachtende intuitiv begeben, wenn sie Karen Holländer kennen oder mit ihrem Schaffenswerk einigermassen vertraut sind. Nein, in diesem Gemälde spiegelt sich der nebelverhangene Himmel in einer Wasserpfütze – und dem Titel dieser Ausstellung gemäss ist diese ein Polygon oder nahezu ein Kreis.

 

Wasserpfützen spielen auch für ihr gezeigtes skulpturale Werk eine inspirierende Rolle – im Werkzyklus der Regentiere von der horizontalen Ebene in die Vertikale gehoben und auf ein Podest gebracht. In einem weiteren Einzelwerk mit dem Titel Mauersegler, ein Hybrid aus Leinwänden und kleinteiligen Skulpturen, verlassen auf elastischen Mobilestangen fixierte Vögel den vorderen dunkleren Bildgrund und schweben über bzw. schwanken vor dem hinteren weissen Bildgrund.

 

Aber zurück zur Leinwand: Weitaus geometrischer sind ihre Einbäume aufgebaut, ohne dass gedachte Spiegelachsen wirklich zu erkennen wären. Aber das Beiwerk, Wurzeln, stützenden Gerüste – sie sind geometrischer Natur. Und dazu noch das Laub, das Blütenmeer; geordnet rund um den Stamm – die Vermutung liegt allerdings nahe, dass der Wind, der Blätter und Blüten von den Ästen gefegt hat, als geometrietreibende Kraft dahintersteckt. Natürlich werfen Baumkronen auch Schatten, bei Karen Holländer sind sie farbig und nicht ident mit ihrer Vorlage – obwohl, wir wissen ja nicht, woher die Sonnenstrahlen kommen, vor allem, wenn Wolken am Himmel wenige Lichtblicke zulassen.

 

Nachwuchs ist ein weiteres starkes Bildthema, das ebenso mit dem Licht spielt. Das kleine Pflänzchen, das mit der richtig positionierten Lichtquelle grosse Schatten wirft, erahnen lässt, was einmal aus diesem Zwerg werden könnte, wenn dieser nach und nach heranwächst. Auch wenn der Schatten in einem scheinbar angenehmen türkisenen Pastellton gehalten ist, wirkt er doch mehr oder weniger bedrohlich.

 

Ein gestützter Baum mit dem Titel Geometrie des Alltags 1 ist namensgebend für den neuen Werkzyklus. Eingebettet in einem angedeuteten x-y-Diagramm erschliesst sich dem Betrachtenden der mathematische Zusammenhang nicht wirklich schlüssig. Will Karen Holländer damit andeuten, dass Bäume, die zu hoch in den Himmel wachsen, gestützt werden müssen, um nicht gänzlich umzukippen? Nun, zum Glück gibt es nicht nur das Geheimnis des Glaubens, sondern auch das Geheimnis der Kunst, die immer wieder dazu einlädt, sich mit künstlerischem Schaffen ganz bewusst auseinanderzusetzen.

 

Im Falle von Karen Holländers neuestem Zyklus, lädt dieser mit ihrer offenen Beobachtungsgabe, mit ihrem geänderten Blickwinkel, zu einem bewussteren Sehen ein. Und so fungiert Karen Holländer wieder einmal als Wegweisende in der Sichtbarmachung des Alltäglichen.

 

Michael Woutsas