„Der gute Künstler ist ein Verbündeter des Zufalls.“
Hubert Scheibl, dessen künstlerischer Kosmos sich immer wieder um die Evolution, die Entstehung der Welt, die Natur und deren Formen dreht, nimmt den Zufall der während des Malens stattfindet willkommen an: Mit alleiniger Anstrengung und Intention würde diese Art der Malerei nicht gelingen.
Im Gegensatz zu seinen gekratzten Bildern, die einen Blick unter die Schichten zulassen und somit offenbaren, verdecken die Werke mit Silberspray das Bild; und doch regt diese Verdeckung dazu an, das Darunter zu vermuten und die eigene Interpretation spielen zu lassen.
Die Entstehungszeit seiner Malerei ist durch das Material vorgegeben, denn die Oberfläche, die Ölfarbe, muss weich sein, um sie zu formen, sie ist lebendig und lässt sich einzig dadurch steuern. Der voranschreitende Trocknungsprozess gibt das Zeitliche vor, ein willkommener Zeitdruck, der es dem Künstler nicht erlaubt sich auszuruhen. Manche Bilder werden oft erneut bearbeitet, wenn die untere Schicht vollkommen trocken ist. Sei es, dass die Schlaufe in der Serie Ones auf das Bildgeviert gesetzt wird, sei es, dass in der neuesten Serie End of Flags ein breiter Rakel die Farbe wie einen zarten Vorhang über die Leinwand legt, oder in der Tatsache, dass Scheibl seine Bilder mit Silberemulsion zu einem gewissen Teil zudeckt.
Es ist aber auch die Gegenwart, die Hubert Scheibl in seinen Werken sprechen lässt. Ebenfalls in der für alle fordernden Coronazeit sind die sogenannten Cage Paintings entstanden. Eher in gedeckten Farben gehalten, werden die oszillierenden Farbschichten, durch vertikale Ritzungen aufgebrochen. Cage – Käfig – offenbart somit auch gleich den Bezug zu Gitterstäben. Es gibt auch den persönliche Aspekt in dieser Serie: Corona hat ein Reisen, wie es Scheibl liebt und kennt, so gut wie unmöglich gemacht, es hat ihn eingesperrt, hinter Gitter versetzt.
Hubert Scheibl lebt und arbeitet in Wien
geboren 1952 in Gmunden, Oberösterreich
Studierte von 1976 bis 1981 an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Max Weiler und Arnulf Rainer. In den 1980er Jahren war er Mitglied der Gruppe der Neuen Wilden. Er zählt zu den wichtigsten österreichischen Vertretern der abstrakten Malerei.
Internationale Ausstellungen, wie die Bienal de São Paulo 1985 oder die Biennale di Venezia 1988, machten ihn einem breiten Publikum bekannt.
Und im musealen Bereich werden seine Werke aus Sammlungsbeständen oder Leihgaben ebenfalls gerne gezeigt, wie beispielsweise 2023 im Unteren Belvedere in Wien oder im Kunsthaus Zürich und 2021 in einer Einzelausstellung in der Albertina in Wien.
HUBERT SCHEIBL. MALERISCHE SPUREN IM RAUM
Spur und Raum verbinden sich in Hubert Scheibls malerischer Bildwelt in komplexer und mannigfaltiger Weise. Scheibl zählte in seinen künstlerischen Anfängen in den 1980er-Jahren zu den führenden Proponenten einer auf persönlicher Handschrift basierenden neoexpressionistischen Malerei. Spuren des Ichs flottierten auf der Bildfläche, ob durch explosive Entladungen des Pinsels oder mittels ausladender Notationen mit dem Stift; ein körperliches Einschreiben.
In der rezenten Bildserie Ones verdichtet nun Scheibl die Geste in ein zeichenhaftes Schleifengebilde, das im sphärischen Bildraum schwebt. Index und Ikon verbinden sich miteinander. Die abstrakte Geste wird zur Figur, zum malerischen Gegenstand. Im Abstrakten Expressionismus forcieret etwa Franz Kline und auch der österreichische informelle Maler Markus Prachensky den Gestus als direkte Setzung auf den Bildgrund: Klines schwarze balkenartige Konstruktionen auf weißem Grund sowie Prachenskys Rouge sur noir-Bilder. Ähnlich einem Blitz erhellen die gestischen Setzungen die Bildfläche als erhabene mächtig abstrakte Figur, mit denen wir direkt konfrontiert sind. Scheibls Ones-Schleifengebilde sind mehr wie quallenartige Organismen, die sanft und elegant im wässrig-atmosphärischem Bildraum schweben. Wenn auch keine dezidierte Naturreferenz im Sinne einer Abbildung der Wirklichkeit vom Künstler intendiert ist, schwingt sie stets mit. Jedwede puristisch-dogmatische Haltung der abstrakten Kunst lehnt Scheibl ab. Wir sind Natur und Teil der Evolution. Der Künstler zeigt dies im Großen sowie im Kleinen – galaktisch stellare Räume, Tiefsee-Zonen im Dämmerlicht, mikrokosmische Strukturen, Ultraschallbilder und Virologisches Zellenartiges. Dem geführten gestischen Pinselstrich setzt Scheibl das Schütten der Farbe entgegen, das mehr auf den Zufall ausgerichtet ist, wie vor allem in der Nicotine on Silverscreen-Serie. Die silber-schimmernden Farblacken versiegeln zum Teil die darunter liegenden sphärisch-koloristischen Bildräume, wie dichte Wolkenzüge mit Wirbelwindeinschlüssen, die Astronauten sowie wir via Satellitenbilder mit Blick auf unsere Erde wahrnehmen. Scheibls Malerei ist ein mächtiger prozessualer Kosmos, eine Milchstraße der Bilder. Zum Teil sind seine Bildgruppen und Werkblöcke klar voneinander unterscheidbar, und haben unterschiedliche stilistisch-formale Qualitäten: Grafisches - Malerisches, sphärische Gründe - aufgewühlt expressionistische Bildzonen, geschüttete Farblacken - gestische Pinselstrich-Formationen. Des Öfteren verflechten sich diese Elemente in ein und demselben Bild. Brüchig schroffe Hybride entstehen, Übergangswerke, die zu anderen Bildschöpfungen führen. In den weiß dominierten Gemälden vermengen sich zeichnerische mit malerischen Mitteln, Flächiges mit Räumlichen, wenn der Künstler eine sphärische farbige Bildfläche mit weißer Farbe übertüncht und diese dann nachträglich mit grafischen Hieben und Zügen verletzt. Aus den Wunden der weißen Haut klafft die koloristische Pracht des malerischen Fleisches.
Aufgrund der pandemischen Situation war Scheibls Reisetätigkeit extrem eingeschränkt. Das Eingeschlossensein wird in den neuen Cage-Bildern thematisiert. Sie sind zumeist dunkel-düster gehalten, vertikale Linienstrukturen deuten käfigähnliche Formen an. Scheibl referiert hierbei auf Francis Bacons existenzialistische obskuren Porträtbilder der Velazquez-Päpste an, deren Schreie vom mächtigen Dunkel der Malerei verschlungen werden.
Die reine Zeichnung, bzw. Gouache auf Papier benötigt Scheibl als Ausgleich zu den psychophysisch immens beanspruchenden Malereiakten. Feinnervige Vernetzungen, informelle Zeichen und mikroskopische Strukturen verweben sich auf dem Blatt.
(Florian Steininger)
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